Solingen und danach…

Die Ereignisse der letzten Wochen überschlagen sich: Am 24. August 2024 ermordete ein islamistischer Attentäter in Solingen bei einem Stadtfest für Vielfalt und Toleranz drei Menschen und verletzte acht weitere schwer.

Daraufhin überbieten sich nun fast alle Parteien in Forderungen nach mehr und schnelleren Abschiebungen, Einstellung von Leistungen zum Lebensunterhalt für Ausreisepflichtige, mehr Abschiebehaftanstalten, keiner weiteren Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan und Syrien, der Abschaffung des Asylrechts, der massiven Einschränkung der gesamten Grundrechte für alle Menschen ohne deutschen Pass, dauerhaften Grenzkontrollen oder Zurückweisungen von Flüchtlingen aus bestimmten Ländern. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Viele der vorgebrachten Ideen sind (noch) verfassungswidrig oder verstoßen gegen geltendes EU-Recht und gegen die Menschenrechtscharta der EU.

Derweil hetzt die Springerpresse gegen die Anwältin des Täters und gegen Beratungsstellen für Flüchtlinge, die den regulären verwaltungsrechtlichen Prozess des Attentäters begleiteten, und veröffentlicht deren Namen und Fotos. Angriffe werden nicht lange auf sich warten lassen…

Schon wenige Tage nach dem Attentat wurden 28 straffällig gewordene Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben, obwohl Deutschland mit den dort regierenden islamistischen Taliban aus guten Gründen (offiziell) keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Diese Abschiebungen scheinen die Antwort der Bundesregierung auf die Ereignisse von Solingen zu sein und sollen Handlungsfähigkeit zeigen. Tatsächlich waren sie schon seit Monaten geplant. Abschiebungen nach Afghanistan und bald auch nach Syrien sollen nun, der desolaten politischen Lage zum Trotz, normalisiert werden.

Auch mit der Diskussion um Mittelkürzungen für Geflüchtete versucht die Politik nun Handlungsfähigkeit zu signalisieren, dabei sind auch diese schon seit längerem in Arbeit. Schon vor dem Solinger Attentat hat die Landesregierung NRW in ihren Haushaltsentwurf Mittelumschichtungen und -kürzungen im Flüchtlingsbereich eingeschrieben. Landesmittel für die Asylverfahrensberatung in den Landesunterkünften werden gestrichen und die Beratung Geflüchteter so weiter eingeschränkt und verschlechtert. Dabei ist es gerade zu Beginn, aber auch im Prozess des Asylverfahrens von großer Wichtigkeit, dass geflüchtete Menschen umfassend über den Ablauf des Verfahrens und ihre Rechte und Pflichten informiert werden.

Mit den Kürzungen von Geldern für die Verfahrensberatung setzen sich die Streichungen und Einschränkungen im Bereich der Flüchtlingsberatung der letzten Jahre fort. Auf Bundesebene wurde zum Beispiel im Mai 2024 die Einführung der sog. „Bezahlkarte“ beschlossen, die Flüchtlinge noch mehr vom sozialen Leben und kultureller Teilhabe ausschließen soll und ein menschenwürdiges Leben unmöglich macht. Mittel dafür sind schon im Landeshaushalt eingeplant.

Leider lässt sich diese Auflistung noch lange fortsetzen, ein Ende der Entmenschlichung von Geflüchteten ist nicht in Sicht.

Die islamistische Radikalisierung hier lebender Muslime ist zweifelsohne ein Problem, auf das eine Antwort gefunden werden muss. Nun aber sämtliche Muslim*innen in Sippenhaft zu nehmen und sie für den Terror einzelner büßen zu lassen, ist purer Rassismus. Viele Geflüchtete sind selbst vor islamistischem Terror geflohen, gerade aus Syrien und Afghanistan. Dem zum Trotz diskutiert die Bundesregierung schon länger darüber, Geflüchteten aus Syrien grundsätzlich keinen subsidären Schutz zu gewähren, sondern für sie lediglich ein Abschiebeverbot zu erlassen. Dies bedeutet eine massive Verschlechterung ihrer rechtlichen Lage. Sie werden bestraft für Taten, die sie nicht begangen haben. Anstatt darüber nachzudenken, wie sich eine islamistische Radikalisierung gerade junger Menschen in Deutschland verhindern ließe, werden pauschal „die Flüchtlinge“ zum Sündenbock gemacht und so getan, als ließe sich das Problem mit „Maßnahmen gegen Migration“ lösen.

Die Folgen sind offensichtlich: Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen profitierte die AfD von der weit nach rechts gerutschten Debatte um Migration und Flucht. Für Gruppen und Initiativen, die sich in diesen Bundesländern gegen Rechts engagieren, wird die Arbeit zunehmend schwieriger, sie sind dort massiven Anfeindungen ausgesetzt. Derweil wird auf Bundesebene weiterhin um das Demokratieförderungsgesetz gestritten, das gerade solche Strukturen stärken soll.

Wir als STAY! Flüchtlingsinitiative sind lange genug aktiv, um zu wissen, dass die Unterstützung Geflüchteter in dem aktuellen politischen Klima zunehmend schwerer werden wird. Wir werden uns trotz der Hetze und Angriffe weiterhin für die Rechte und für ein menschenwürdiges Leben von Geflüchteten in Deutschland und speziell in Düsseldorf einsetzen:

Wir beraten und unterstützen weiterhin Flüchtlinge bei der Inanspruchnahme ihrer rechtlichen Möglichkeiten, damit sie sich hier ein sicheres (?) Leben aufbauen können.

Wir versorgen weiterhin kranke Menschen ohne gültige Papiere durch das STAY! Medinetz.

Wir setzen uns weiterhin gegen die Entmenschlichung und Entrechtung von Geflüchteten ein.

Wir lehnen Abschiebehaft weiterhin als Menschenrechtsverletzung ab und wenden uns gegen die Eröffnung weiterer Abschiebegefängnisse.

Wir stellen uns weiterhin dem gesellschaftlichen Rechtsruck und insbesondere der AFD entgegen.

Wir werden weiterhin die Themen Flucht und Flüchtlinge aus einer humanistischen Perspektive betrachten und danach handeln.


Und selbstverständlich verurteilen wir bei alledem das islamistische Attentat, das einen Angriff auf unsere vielfältige und offene Gesellschaft darstellt! Wir trauern mit den Opfern des Anschlags und den Bewohner*innen von Solingen. Ihnen gilt unsere Solidarität.

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